Das Social Network Emergence Process Modell SNEP

[toc]Ein Kernthema der Wirtschaftsinformatik ist die Aneignung und Nutzung von IT-Artefakten. Traditionell wird dabei davon ausgegangen, dass einige wenige Faktoren wie die wahrgenommene Nützlichkeit oder die wahrgenommene Einfachheit der Nutzung zu einer Ja-Nein-Entscheidung der Nutzer für oder gegen die Nutzung eines Werkzeugs führen (Davis, 1989[ref]Davis, F.D. (1989): „Perceived Usefulness, Perceived Ease of Use, and User Acceptance of Information Technology“. MIS Quarterly 3(13), S. 319-339.[/ref]; Venkatesh et al., 2003[ref]Venkatesh, V.; Morris, M. G.; Davis, G.B.; Davis, F.D. (2003): „Unified Theory of Acceptance and Use of Technology. Towards a unified view“. MIS Quarterly 3(27), S. 425-478.[/ref]). Eine stetig größer werdende Anzahl ernstzunehmender Studien (Lamb & Kling, 2003[ref]Lamb, R.; Kling, R. (2003): „Reconceptualising Users as Social Actors“. Management Information Systems Quarterly 2(27), S. 197-235.[/ref]; Leonardo & Barley, 2010[ref]Leonardi, P.; Barley, S. (2010): „What’s under Construction Here? Social Action, Materiality, and Power in Constructivist Studies of Technology and Organizing“, The Academy of Management Annals 4, S. 1-51.[/ref]) stellt diese statischen Erklärungsversuche der Aneignung in Frage und weist auf den großen Einfluss des Nutzungskontexts, z.B. den Einfluss anderer Nutzer auf die Aneignung, hin. In einer vor kurzem erschienen Studie (Riemer et al. 2012[ref]Riemer K.; Overfeld, P.; Scifleet, P.; Richter, A. (2012): „Oh, SNEP! The Dynamics of Social Network Emergence – the case of Capgemini Yammer“, Business Information Systems Working Paper, Sydney, Australia, http://ses.library.usyd.edu.au/handle/2123/8049.[/ref]), die in Zusammenarbeit mit der Universität Sydney entstanden ist, haben wir einen großen Datensatz auf das dieses Phänomen hin untersucht. Ein Ergebnis dieser Analyse ist das hier vorgestellte Social Network Emergence Process Modell (SNEP).

Capgemini & Yammer

Im September 2008 beschlossen einige niederländische Mitarbeiter der internationalen IT- und Managementberatung Capgemini, ein firmeneigenes Netzwerk auf der im Internet verfügbaren Microblogging-Plattform Yammer zu gründen. Von der Plattform versprachen sie sich die Möglichkeit, sich untereinander besser zu vernetzen, den Wissenstransfer unter den Mitarbeitern zu unterstützen, mehr Transparenz herzustellen sowie die firmenweite Suche nach Informationen zu vereinfachen. „Mitmachen“ bei Yammer war freiwillig und es versammelte sich zunächst eine nur eine kleine Schaar von sog. „Early Adopters“. Folglich wuchs die Nutzerzahl eher langsam und bis zum Februar 2009 wurden „nur“ 300 Capgemini Yammer-Konten gezählt. Danach ging es allerdings rasant aufwärts: Ende März 2010 waren es rund 6500 Mitglieder und am 5. August 2010 waren es bereits 10.000. Damit nutzten zu diesem Zeitpunkt ca. 10 Prozent aller Capgemini-Mitarbeiter Yammer. Gegen Ende des Jahres 2011 gehörte Capgeminis@Yammer mit mehr als 35.000 Mitgliedern und täglich über 1.000 Nachrichten zu einem der weltweit größten Netzwerke von Yammer.

Das SNEP-Modell

Im Rahmen des vom DAAD und der Group of 8 geförderten Forschungsprojekts SMILE (Social Media In Large Enterprises) haben sich Forscher unserer Gruppe und der University of Sydney Business School u.a. mit der Frage auseinander gesetzt was im Verlauf der o.g. kurz beschriebenen Aneignung über mehrere Monate passierte. Dabei analysierten wir den gesamten Datensatz der Capgemini@Yammer-Nutzung mit Hilfe einer sog. Genre-Analyse. Aus der Nutzungs-Analyse ist es uns gelungen vier Phasen der Aneignung zu identifizieren. Dabei unterscheiden wird die Phasen Start-up, Neglect, Excitement und Productivity und führen sie im sogenannten SNEP-Modell entsprechend der folgenden Abbildung zusammen:

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Zunächst einmal begann, wie oben geschildert, eine Gruppe von „Early Adopters“ mit dem neuen Werkzeug zu experimentieren und verglichen dieses auch mit anderen bekannten Diensten. In dieser „Startup-Phase“ herrschte v.a. ein Gefühl der Neugierde vor, die Nutzer stellten sich sinngemäß die Frage: „Was ist das überhaupt?“.
Darauf folgend wurde das Werkzeug auch durchaus in Frage gestellt („Ist es überhaupt nützlich?“) und negativ beschieden. Gleichzeitig flachte das Interesse bei mehreren Nutzern ab („Neglect“) und die Plattform war in dieser Phase wirklich der Gefahr ausgesetzt von den Nutzern generell abgelehnt zu werden.
Am Ende dieser Phase hatte sich aber eine Gruppe von Nutzern gefunden, denen sich nützliche Nutzungsweisen der Plattform erschlossen hatten. Diese teilten ihre positiven Eindrücke und neuen Arbeitspraktiken mit ihren Kollegen („Excitement„) und infolgedessen stieg auch die Nutzung. Nun stellte sich nicht mehr die Frage der Nützlichkeit, sondern eher, wie andere für die Plattform gewonnen werden konnten.
Schließlich hatte die Plattform also ihren Weg in die Arbeitsprozesse vieler Mitarbeiter gefunden und produktiv genutzt („Productivity„). Neue Nutzer wurden freundlich auf der Plattform begrüßt und bei ihrer Aneignung unterstützt.

Implikationen

Das Modell bestätigt zum einen die Tatsache, dass der Nutzungskontext und im vorliegenden Fall eben insbesondere andere Nutzer die Aneignung einer Plattform wesentlich beeinflussen. Es zeigt, dass sich die Nutzer die Nützlichkeit der Plattform nicht im Alleingang erschlossen haben, sondern in einem längeren gemeinsamen Prozess sozialen Lernens.

Gleichzeitig schafft das Modell ein Verständnis dafür, wie ein Unternehmen die Einführung und Nutzung vergleichbarer Plattformen unterstützen kann. Dabei weist es zum einen auf Risiken und kritische Punkte im Zeitverlauf hin, die auch in einem „von oben“ gesteuerten Einführungsprozess auftreten können. Es zeigt zum anderen, was u.a. notwendig ist, wenn die Initiative zum Erfolg führen soll: Eine Gruppe von Enthusiasten, die sich offen mit dem Werkzeug auseinandersetzen, neue Nutzungsmöglichkeiten erkennen und diese an andere (potentielle) Nutzer weitergeben.

Es zeigt, dass bevor eine kritische Masse an Nutzern erreicht werden kann, es notwendig ist, dass sich die Nutzer mit der Plattform auseinandersetzen um aus dem eigenen Arbeitskontext heraus zu entdecken, wie das Werkzeug den eigenen Arbeitsalltag produktiver machen kann. Hier ist auch das Management (sowohl die Plattformverantwortlichen als auch das Middle- und Top-Management) gefragt: Es geht einerseits darum auch hier mit gutem Beispiel voran zu gehen und eigene Arbeitspraktiken zu kommunizieren und andererseits den Mitarbeitern die Freiheiten zu geben auch Nutzungsweisen zu entdecken, mit denen man vorher nicht gerechnet hätte.

Weiterführende Informationen

Ausführlichere Informationen zu SNEP finde sich in der Originalstudie (Riemer et al., 2012[ref]Riemer K.; Overfeld, P.; Scifleet, P.; Richter, A. (2012): „Oh, SNEP! The Dynamics of Social Network Emergence – the case of Capgemini Yammer“, Business Information Systems Working Paper, Sydney, Australia, http://ses.library.usyd.edu.au/handle/2123/8049.[/ref]).

Über Alexander Richter

Dr. Alexander Richter ist seit Dezember 2006 als wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Forschungsgruppe Kooperationssysteme tätig. Er studierte von September 2001 bis Oktober 2006 Betriebswirtschaftslehre mit den Schwerpunkten Wirtschaftsinformatik, Systems Engineering und Umwelt- und Produktionsmanagement an der Universität Augsburg und zudem von September 2003 bis September 2004 mit einem Stipendium der Deutsch-Französischen Hochschule im Doppeldiplom-Studiengang “Deutsch-französisches Management” an der Universität Rennes I.
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1 Antwort zu Das Social Network Emergence Process Modell SNEP

  1. Schöner Beitrag. LG aus Graz, Alexander Stocker

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